Listerien können beim Menschen Hirnhautentzündung verursachen. Um sich im Körper ungestört vermehren zu können, setzen sie einen Trick ein und machen sich für das Immunsystem unsichtbar: Die Bakterien schließen die menschlichen Zellen regelrecht auf und erzwingen so ihre Aufnahme. Dafür besitzen sie einen speziellen Schlüssel auf ihrer Oberfläche, der exakt in ein Schloss auf den menschlichen Zellen passt. Sowohl Schlüssel als auch Schloss sind so genannte Oberflächenproteine. "Das Schloss auf den menschlichen Zellen nennen wir Wissenschaftler `Met?", sagt Dirk Heinz, Bereichsleiter am Helmholtz-Zentrum: "Der Schlüssel der Listerien heißt Internalin B, kurz InlB."
Mit Hilfe des Proteins InlB koppeln sich Listerien an den Oberflächenrezeptor Met, der ihre Aufnahme veranlasst. "Normalerweise bindet aber nicht das InlB der Listerien sondern ein menschliches Signalmolekül, ein Wachstumsfaktor, an das Met-Protein", erklärt Dr.
Hartmut Niemann, der als Postdoktorand am HZI die beiden Proteine untersucht hat und inzwischen Juniorprofessor an der Universität Bielefeld ist. Niemann: "Danach teilen sich Zellen. Im Fötus bilden sich dann Organe; bei Erwachsenen heilen Wunden. Veränderungen im Met-Protein können aber auch Krebs verursachen also zu unkontrolliertem Zellwachstum führen." Schon einige Jahre war bekannt, dass auch Listerien Met benutzen, um sich in menschliche Zellen einzuschleusen.
"Wir wollten nun genau verstehen, wie InlB einen Komplex mit Met bildet und die Aufnahme auslöst", so Niemann weiter. Bevor das gelingen konnte, mussten die Braunschweiger Strukturbiologen das InlB-Protein jedoch erstmal in ausreichender Menge herstellen. "Das war ein Problem, an dem sich etliche Arbeitsgruppen weltweit vergeblich versucht haben", beschreibt Dr. Joop van den Heuvel, Fachmann für die Produktion komplexer und empfindlicher Proteine: "Wir konnten das Rennen für uns entscheiden und so als erste die dreidimensionale Struktur des InlB/Met-Komplexes mittels Röntgenstrukturanalyse bestimmen."
Die wesentliche Erkenntnis der Braunschweiger Wissenschaftler: Die Bakterien nutzen an dem Rezeptor Met eine andere Bindungsstelle als der menschliche Wachstumsfaktor. Sie haben gewissermaßen die Achillesferse von Met getroffen. Diese Unterschiede findet Prof. Heinz besonders spannend: "Die neue Bindungsstelle am Met-Rezeptor könnte für die Krebsforschung interessant sein. Vielleicht gelingt es in einigen Jahren, ein Medikament zu entwickeln, das auch an dieser Stelle andockt
und so die unkontrollierte Zellteilung bei einer Krebserkrankung unterbindet."