Es ist offenbar gerade die wachsende Beliebtheit des Betreuungsgeldes, die seine Gegner beunruhigt: Im letzten Quartal bezogen fast 400.000 Eltern Betreuungsgeld, das sind mehr als fünfmal so viele wie 2013, als die Leistung gerade eingeführt worden war. Das zeigen die Zahlen, die der Hamburger Senat selber auf seiner Homepage darstellt (2). Meldungen über das Betreuungsgeld als vermeintlichen "Flop", die Medien voreilig nach seiner Einführung verbreiteten, haben sich als falsch erwiesen, das Betreuungsgeld wird von Eltern angenommen. Seine Einführung hat die Bundesregierung damit begründet, dass Mütter und Väter die Betreuung wählen können sollten, die für ihr Kind am besten sei. Auf die Frage nach dem "richtigen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsangebot" würde es keine "einheitliche Antwort für jedes Kind" geben, weshalb "alle Formen der Kleinkindbetreuung" staatlich unterstützt werden müssten (3).
Nach Angaben der Bundesregierung kostet die öffentliche Betreuung in Tageseinrichtungen ca. 1000 Euro pro Kind und Monat. In jedem Fall wird nur ein geringer Teil der Kosten durch Elternbeiträge gedeckt. Wenn Eltern auf die Inanspruchnahme von Fremdbetreuung verzichteten, entstehe eine "Förderlücke", die das Betreuungsgeld schließe (4). Das tut es nun offenkundig nicht, denn 150 Euro Betreuungsgeld stehen bis zu 1.000 Euro Krippensubvention gegenüber. Aus gutem Grund also zahlen Länder wie Finnland oder Frankreich deutlich höhere Betreuungs- bzw. Erziehungsgelder. Eine solche bundesstaatliche Familienförderung gibt es in föderalistisch organisierten Industriestaaten wie der Schweiz und den USA nicht: Ob und in welcher Weise hier Familien unterstützt werden, fällt in die Zuständigkeit der Kantone bzw. Bundesstaaten. Die Folge sind große regionale Unterschiede und ein insgesamt geringeres Leistungsniveau sowohl der Transferleistungen wie der institutionellen Kinderbetreuung, für die Eltern viel Geld aufbringen müssen (5).
Will der Hamburger Senat ein solches System des liberalen Föderalismus? In diesem Fall wäre seine Argumentation gegen die Bundeszuständigkeit für das Betreuungsgeld durchaus schlüssig. Aber dann dürfte der Bund auch den Ausbau der Kinderbetreuung in den Ländern, auch in Hamburg, nicht mehr fördern. Denn Kinderbetreuung ist nach dem Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII) eine kommunale Aufgabe (6). Die Kommunen wiederum gehören zu den Ländern, die für ihre Finanzausstattung verantwortlich sind. Über lange Zeit vertrat die Bundesregierung daher die Auffassung, dass der Bund keine Kompetenz für die Kinderbetreuung habe, weil dies Ländersache sei (7). Um diese föderale Kompetenzverteilung kümmerten sich die Familienministerinnen Schmidt und von der Leyen nicht mehr, als sie mit dem "Tagesbetreuungsausbaugesetz" (2005) und dem "Kinderförderungsgesetz" (2008) die deutsche Familienpolitik von Grund auf änderten. Ziel ihres Paradigmenwechsels war eine möglichst umfassende öffentliche Betreuung von Kindern (8). Für die Unterstützung dieser Politik gab der Bund den Ländern Milliarden-Zuschüsse für den Ausbau der Kinderbetreuung (9). Diese Subventionen hat auch Hamburg gern genommen, unbekümmert um die fehlende Bundeszuständigkeit. Um die dürfte es den Betreuungsgeld-Gegnern auch gar nicht gehen, sondern eher um die Oktroyierung des "one-size-fits-all"-Modells doppelt erwerbstätiger Eltern mit institutionell betreutem Kind. Das wird besonders bei dem Argument mit dem angeblich überholten Familienbild deutlich.
Falls das BVerfG zu dem Urteil kommen sollte, der Bund sei für das Betreuungsgeld nicht zuständig, wird man mit Spannung beobachten können, ob es dann logischerweise auch die Förderung des Krippenausbaus durch den Bund verbietet. Für das Verfahren entscheidend wird nun sein, ob sich das oberste Gericht an seine frühere Entscheidung erinnert, dass "die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern" sei (BVerfGE 99, 216, 231). Im Kern geht es um Subsidiarität: So wie die Advokaten der Staatsbetreuung die institutionellen Zuständigkeiten ignorieren, so missachten sie gesellschaftspolitisch die Erstzuständigkeit der Eltern für die Kindererziehung (Art. 6 GG).
(1) Siehe hierzu: http://www.hamburg.de/....
(2) Siehe hierzu: Betreuungsgeld - zunehmende Leistungsbezüge (Abbildung). In den westdeutschen Flächenländern mit ihrer weniger ausgebauten Tagesbetreuung und anderen Kinderbetreuungskultur ist die Inanspruchnahme noch stärker gestiegen. Vgl.: Betreuungsgeld - Entwicklung der Leistungsbezüge (Abbildung).
(3) Deutscher Bundestag, Drucksache 17/9917 vom 12.06.2012, S. 7.
(4) Vgl. ebd. Manche Experten schätzen die Kosten noch erheblich höher ein, jedenfalls für qualitativ hochwertige Betreuung. Nach Auskunft von Gisela Erler, Gründerin der PME Familienservice GmbH, kostet ein "guter Krippenplatz in Westdeutschland mit allem Drum und Dran" etwa 1.400 € im Monat. Auf keinen Fall würde ein Krippenplatz weniger als 1.200 € im Monat kosten. Henrike Rossbach: "Wir erleben eine mentale Zeitenwende", Gisela Erler, Geschäftsführerin der PME Familienservice GmbH, über alte Denkmuster und neue Chancen, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. März 2007, S. 10. Eingehender zu den Kosten unterschiedlicher Betreuungsformen: Stefan Fuchs: Unterstützung der Familien - oder Betreuung durch den Staat? (Schluss), http://www.erziehungstrends.net/....
(5) Zum Niveau der Familienförderung in der OECD-Welt: Stefan Fuchs: Gesellschaft ohne Kinder. Woran die neue Familienpolitik scheitert, Wiesbaden 2014, S. 236 ff.
(6) "Anders als z. B. die Schulen, die der Länderhoheit unterstehen, ist die Kinder- und Jugendhilfe im Wesentlichen eine kommunale Aufgabe." Bundesministerium für Familie, Senioren Frauen und Jugend (Hrsg.): Kinder- und Jugendhilfe. Achtes Buch Sozialgesetzbuch, Berlin 2014, S. 48.
(7) Vgl. Stefan Fuchs: Gesellschaft ohne Kinder. Woran die neue Familienpolitik scheitert, Wiesbaden 2014, S. 108.
(8) Vgl. ebd., S. 33 ff.
(9) Nach Angaben der Bundesregierung "beteiligt sich der Bund bis 2014 insgesamt mit 5,4 Mrd. Euro am Ausbau U3 und ab 2015 dauerhaft jährlich mit 845 Mio. Euro. Bundesministerium für Familie, Senioren Frauen und Jugend (Hrsg.): Kinder- und Jugendhilfe, a.a.O., S. 24-25.