An den anschließenden Konsultationen hat sich neben zahlreichen anderen Interessenten auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) intensiv beteiligt. Umso enttäuschender das Ergebnis, vor allem der Entwurf der Nutzungsbedingungen für die EMA-Schnittstelle, über die künftig jedermann auf die Daten zugreifen können soll.
Nur Lesen erlaubt
In der vergangenen Woche wurde bekannt, was die EMA am 12. Juni 2014 beschließen möchte. Demnach dürfen Interessenten die klinischen Studiendaten lediglich am Bildschirm betrachten . Untersagt sind dagegen das Herunterladen, das Abspeichern, die Bearbeitung, das Abfotografieren, das Ausdrucken, die Verteilung und die Übertragung der Informationen.
Diese Bedingungen machen jede wissenschaftliche Auswertung klinischer Studiendaten, beispielweise im Rahmen einer Nutzenbewertung, völlig unmöglich. Denn dazu muss man gewaltige Datenmengen - oft mehrere Tausend Dokumentseiten - nicht nur sichten, sondern auch markieren und sichern, aus verschiedenen Studien zusammenführen, biometrisch auswerten und mit Mitarbeitern austauschen können.
Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten in Kröpfchen?
Außerdem sieht der Entwurf vor, dass die Industrie im Rahmen ihrer Zulassungsanträge jeweils zwei Studienberichtsfassungen bei der EMA einreicht: eine vollständige, anhand derer die EMA über die Zulassung entscheidet, und eine unvollständige für die Fachöffentlichkeit.
Bisher wurde diskutiert, dass Einzeldaten, durch die vielleicht Patienten identifizierbar wären, vor der Veröffentlichung aus den Studienberichten gelöscht werden. Nun wird dieser Schritt auf Studienergebnisse erweitert, und die Vorgaben sind so vage formuliert, dass der Umfang der Schwärzung schwer absehbar ist.
Vollständige Daten sind unentbehrlich
"Angesichts der Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren mit der Industrie gemacht haben, ist dieses Verfahren alarmierend", so Jürgen Windeler, der Leiter des IQWiG. "Gleichzeitig zeigen unsere Erfahrungen aus der frühen Nutzenbewertung, wie wertvoll vollständige Studiendaten für die Diskussion um neue Medikamente sind. Daher überrascht uns dieser plötzliche Rückschritt, der aus unserer Perspektive einfach nicht nachvollziehbar ist."
Beate Wieseler, Leiterin des Ressorts Arzneimittelbewertung im IQWiG, ergänzt: "Weder Fachpublikationen noch andere öffentliche Dokumente reichen an den Informationsgehalt der vollständigen klinischen Studiendaten heran, wie sie der EMA vorliegen. Daher haben wir den EMA-Entwurf von 2013 als großen Schritt in die richtige Richtung begrüßt. Die nun bekannt gewordene, überraschende Revision stellt dagegen nicht den geringsten Fortschritt gegenüber dem Status quo dar: Weder erhalten wir alle Daten, noch können wir abschätzen, wie viel uns vorenthalten wird und wie repräsentativ der Rest ist."
Lebensqualität darf herausredigiert werden
Die EMA betrachtet zum Beispiel redaktionelle Eingriffe als legitim, bei denen Hersteller die Ergebnisse von explorativen Endpunkten, die für die Zulassungsentscheidung von untergeordneter Bedeutung sind, löschen. Solche Studienergebnisse bezieht das IQWiG regelmäßig in seine Bewertungen ein, da in ihnen häufig patientenrelevante Endpunkte wie die gesundheitsbezogene Lebensqualität untersucht werden, die in Publikationen in Fachzeitschriften häufig nicht berichtet werden.
"Wir reden hier über Studien an Menschen, die in der Hoffnung teilgenommen haben, dass mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse bessere Therapien entwickelt werden", so Wieseler. "Diese Erkenntnisse können nur dann für die Verbesserung der Patientenversorgung genutzt werden, wenn sie für alle öffentlich verfügbar sind. Nicht nur das IQWiG benötigt diese Studiendaten, sondern z. B. auch andere Wissenschaftler, die systematische Übersichtsarbeiten erstellen, oder die medizinischen Fachgesellschaften, die Leitlinien für die Behandlung von Patienten entwickeln."
Stellungnahme im British Medical Journal
Ihre fachliche Kritik an der neuen EMA-Richtlinie haben Wieseler und ihre Kollegen in einer Veröffentlichung im British Medical Journal zusammengefasst, einer sogenannten Rapid Response. Darin machen sie deutlich, dass die jetzigen Pläne eklatant vom 2012 verkündeten Paradigmenwechsel der EMA - hin zur mehr Datentransparenz - abweichen. "Veröffentlicht" könne man die EMA-Daten im Grunde nicht nennen. Denn: "Daten, mit denen wir nicht arbeiten können, sind nach wie vor verborgen - selbst wenn wir sie auf dem Bildschirm sehen."