Wanessa ist ein im Kupferkessel zweifach destillierter, österreichischer Wodka aus 100% erstklassigem Dinkel, eine auf meinem Misthaufen gewachsene Schnapsidee. Ich bin Vanessa und habe an der italienischen Slow Food Universität für Gastronomiewissenschaften studiert und meine Diplomarbeit über Hildegard von Bingen geschrieben. Die heilige Hildegard war die einflussreichste Geistliche im Mittelalter. Sie behauptete "Visionen von Gott" zu erhalten, die sie niederschrieb. Sie verfasste Texte über die Wirkung von Heilpflanzen und Lebensmitteln. Unter anderem meinte sie, der Dinkel sei ein Frohmacher. Wenn man also Dinkel destilliert, hat man dann nicht einen "frohmachenden" Wodka? Einen Zaubertrank? Heureka!
So weit so gut, nach monatelanger Recherche und der Zusage eines Kredits feuerten mein Partner, ein renommierter niederösterreichischer Schnapsbrenner, und ich den Hexenkessel an, mit dem bescheidenen Ziel, einen Zaubertrank herzustellen, der zudem Slow Food Kriterien erfüllen sollte: also aus hochqualitativen, lokalen Rohstoffen, rein und geschmackvoll.
Nette Geschichte Nach zweiwöchigem Maischen und Brennen und Putzen und Bangen ob die Wanessa denn etwas wird, immerhin hatten wir keine Ahnung wie ein Dinkelbrand schmeckt, verkosteten wir mit dem mehr als skeptischen Vater meines Brennpartners "in crime". Er nahm den ersten Schluck und konnte nicht anders als sein breitestes Grinsen aufzusetzen: " Sehr gut!", sagte er. Na, das will was heißen!
Wodka Wanessa entpuppte sich als cremiges und mildes Herzstück mit einer zarten Vanillenote. Wir beschlossen den Kornbrand nur minimal zu filtrieren, um das außergewöhnliche Aroma zu erhalten.
Wie die meisten der MIXOLOGY-Leserschaft wissen, ist Vodka recht geschmacksneutral, weil durch Filtration oder vielfache Destillation Geschmacks-, und Fuselstoffe entfernt werden. Allerdings ist Vodka nie geschmacklos! Hochqualitative Vodkas haben auch immer mehr Geschmack. Meiner Meinung nach, weil dafür nicht "Wegwerfgetreide" verwendet wird, sondern eben bestes Getreide.
Wie beim Obstbrand ist die Qualität der Rohstoffe ausschlaggebend für den Geschmack. Einige bekannte österreichische Brenner, darunter mein neuer Partner Alois Gölles und der in Bars durch seinen Blue Gin bekannte Hans Reisetbauer, haben die Interessensgemeinschaft Quinta Essentia ins Leben gerufen, die Brennereien verpflichtet eben ausschließlich vollreife Früchte zu verwenden und ohne Zusatzstoffe zu brennen. Für Wodka Wanessa wird entsprechend erstklassiger, steirischer Dinkel verwendet, seit diesem Jahr biozertifiziert.
Stimmt die Qualität der Rohstoffe nicht, wird in der Branche gerne mal "gepanscht": Beim Obstbrand will man Aroma, also gibt man Aromastoffe und Zucker dazu, beim Vodka filtriert man den sonst untrinkbaren Sprit bis zur fast vollständigen Neutralität oder gibt Glycerin hinzu. Ich will nichts Geschmackloses herstellen, das macht keinen Spaß, obwohl man damit besser verdient.
Spassbremsen und Eintrittshürden
Dass Wodka Wanessa ungewohnt viel Geschmack hat, stieß im ersten Jahr viele Leute vor den Kopf. Wanessa sei doch kein Vodka, er habe ja Geschmack! Vodka sei doch aus Kartoffeln! Außerdem sei nur russischer Vodka echter Vodka! Gut, sagt das mal den Polen! Demnach ist nur georgischer Wein echter Wein? Wer hat's erfunden? Etliche Überzeugungsarbeit führte ich mit selbsternannten Experten, dabei wollt ich ja nur Zaubertrank brennen und Trinkfeste feiern. Stattdessen wurde ich trinkfest und ziemlich gut in der Verteidigung meines Babys.
Man braucht eben nicht glauben, dass man mit offenen Armen empfangen wird, wenn man mit einem jungen Produkt "den Markt erobern" will. Schon gar nicht den Vodkamarkt. Denn den kleinen Getränkehändlern war Wanessa zu teuer und die großen belächelten uns nur. Sie hätten dreißig Vodkas im Sortiment, aber nur die bekannten Marken verkauften sich. Und ob wir denn wirklich glaubten, wir könnten mit Absolut oder Stolichnaya konkurrieren?
Das Bewerben eines neuen Produktes ist zusätzliche Arbeit für Händler und Gastronom, sie verdienen aber nicht zwingend mehr daran. Ins Sortiment wurden wir die nächsten drei Jahre nicht aufgenommen. Also verkauften wir Wanessa direkt, ohne Handelspartner, was diejenigen, die den Vertrieb abgelehnt hatten, wiederum wütend machte. Verkehrte Welt. Im Übrigen haben Lokale und Clubs, die wirklich massig Vodka verkaufen, meist Verträge mit Getränkekonzernen und bekommen den Sprit günstiger. Werbung, DJs und VJs werden mit Hilfe des Sponsors bezahlt. Dafür darf aber nur diese eine Marke ausgeschenkt werden. Und das wird selbstverständlich kontrolliert.
Warum noch mal wollte ich Vodka machen?
Zum Glück hat sich, seit wir mit Wanessa im Jahr 2010 angefangen haben, einiges getan. Die skeptischen Stimmen verstummen allmählich. Der Konsument interessiert sich mehr und mehr für Herkunft, Qualität und Geschmack und ist auch bereit, dafür etwas mehr zu bezahlen. Bartender tragen auch einen beträchtlichen Beitrag zum Erfolg einer kleinen Spirituose bei, einer Liebhaberei, entstanden aus Experimentierfreude. Mikrodestillerien sprießen aus dem Boden und lechzen nach Aufmerksamkeit. Vodka aus Äpfeln, Vodka mit Wasser aus tiefsten Tiefen und höchsten Höhen, Terroirvodka, Vodka, der vor der Abfüllung über Frauenbrüste fließt, Biovodka, Jahrgangsvodka, Premium, Ultra Premium oder zusammengepanschter Neutralalkohol in einer super-stylischen Flasche, hundert Mal destillierter Vodka - es gibt mittlerweile alles. Mein ganz besonderer Liebling allerdings ist der "weltbeste Vodka", den es mittlerweile verwirrend oft gibt. Sehr viel Superlativ. Komisch eigentlich, wo man in der Welt des Whiskeys oder des Weins eben nicht vom "weltbesten" spricht. Da geht es nach Punkten. Und die höchste Punktezahl wird nicht vergeben. Geschmäcker sind verschieden, und erlaubt ist, was schmeckt! Hallelujah!
Lastwagen für Kate Moss
Wir hatten nie viel Budget, nicht mal für den Flaschendruck, geschweige denn für Werbung. Dadurch wurden wir "gezwungen", kreativ zu sein, was einige erfreuliche Nebenwirkungen hatte. Zum Beispiel wollten wir Miniaturfläschchen anfertigen lassen. Nach dem fünften Kostenvoranschlag gaben wir auf und suchten nach günstigen Alternativen. Wir entschieden uns, den Wodka in 3 cl Frühstücksgläser zu füllen, was uns prompt einen Eintrag im Packaging Design Buch vom Gestalten Verlag bescherte.
Einmal saß ich in einem Café am Wiener Karmelitermarkt und erzählte jemandem, dass Kate Moss für ihre Hochzeit einen LKW voller Vodka bestellt hatte. (Aber leider nicht Wanessa.) Eine Woche später kam jemand anders im gleichen Café auf mich zu und meinte: "Ich hab gehört, Kate Moss hat einen ganzen LKW Wodka Wanessa bestellt, dann geht es euch ja blendend!". Ich gebe zu, ich habe genickt. Was soll ich sagen? Eine kleine Notlüge, eine Art ungeplantes Guerilla-Marketing.
Und wie läuft es sonst so?
Es läuft mal besser, mal schlechter. Um eine Vodka-Marke ins Leben zu rufen, braucht man viel Geld, eine gute Geschichte, noch bessere Kontakte, noch mehr Geld und einen langen Atem. Wenn diese Rahmenbedingungen gegeben sind, kann man mal anfangen und trotzdem schnell scheitern. Ich bin glücklich, weil mir meine Arbeit Spaß macht. Grad kürzlich erhielt die Wodka Wanessa Dreierverpackung in Form einer russischen Puppe den Green Star Packaging Award, auch weil die Verpackung ohne Klebstoff produziert wird.
Ach, und was den Zaubertrank betrifft - ich hatte das nie groß hinausposaunt, um mich nicht lächerlich zu machen. Aber, und ich scherze nicht, ich hab schon oft Kommentare bekommen wie: "Dieser Wanessa hat so eine besondere Wirkung!" "Ich trink einen Whiskey und bin besoffen, aber Wodka Wanessa macht so wach und warm ums Herz." Hatte die Hildegard von Bingen vielleicht doch Recht?
Oh, und die Münchner Schumann's Bar hat Wodka Wanessa ins Sortiment aufgenommen! Das freut mich natürlich besonders, und ich musste da gar nicht drum betteln. Das Schumann's wollte auch keinen Rabatt, was bei einer Bar dieses Kalibers durchaus üblich wäre. Ansonsten warte ich noch immer auf ein Antwortschreiben der NASA. Als nämlich vor drei Jahren Wasser auf dem Mond gefunden wurde, schrieb ich denen eine Mail und bat sie, mir bekannt zu geben, ob das Wasser weich wäre und wie viel ein Liter kosten würde. Für meine Wodka Wanessa Lunatic Edition.
Ein bisschen "lunatic" muss man eben schon sein, wenn man sein eigenes Produkt lancieren will. Man braucht eine große Portion Humor und Schlagfertigkeit. Von Kommentaren wie "Nicht noch ein Vodka!" darf man sich nicht verunsichern lassen. Am meisten Zeit verbringt man vor dem Computer und in Verkaufsverhandlungen und nicht mit dem geliebten Hexenkessel.
Dieser Artikel ist am 339.08. auf Mixology Online veröffentlicht worden.
Quelle: mixology.eu